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Finite Incantatem – Schmetterling zerschmettern mit Kim de l'Horizon

Verfasst von Urs Scheidegger |

Es handelt sich um ein Narrativ, das als Sprachriff zwischen gefühlten und physisch erlebten Welten pendelt. Dominik Holzer alias Kim de l'Horizon zerhaut einen Schmetterling und taucht auf dem Weg zur Selbstfindung ab in schmerzhafte Fingerübungen auch linguistischer Natur.

Ein Pubertier(ender) begegnet einem Schmetterling, nicht besonders schön, «kein Schwalbenschwanz oder Bläuling, oder wie sie heissen, die Schönen». Dieser Schmetterling will nicht auffliegen, selbst dann nicht, als ihn der zehnjährige Ich-Erzähler anfasst. Kommt seine Schwester dazu: «Oh nein, Schmetterlinge darf man nicht berühren, auf jeden Fall ihre Flügel nicht, die haben so einen Feenstaub auf den Flügeln und wenn der weg ist, dann können sie nicht mehr fliegen. Und wenn sie nicht mehr fliegen können, dann leiden sie sehr. Dann ist es besser, man tut sie töten.»
Sie drückt ihm einen Stein in die Hand mit der Aufforderung, den Schmetterling tot zu machen – und geht weg. Er schlägt zu, der Stein splittert, die Hand blutend wund, Schmetterling zerhauen. (Wobei «Schmetterling zerschmettert» in dieser Situation die cleverere Wortwahl wäre. Ganz abgesehen davon, dass der Begriff Schmetterling prima vista bei gefühlten 75% der Leserschaft andere Assoziationen hervorrufen dürfte als Zerhacktes. Cf. Schmetterlingseffekt.) Zum Nachtessen gibts Reis mit Gehacktem. Und der mit dem Stein hackte sinniert: «Mit jedem Reiskorn esse ich ein Körperchen eines Schmetterlings».
Sei's drum. Die harte Realität geht spätestens dann in die Traumwelt über, als der Ich-Erzähler, inzwischen Zwölf, in der Schulpause mit seinen Gspänlis Szenen aus Hogwarts' Fantasy-Patchwork-Universum nachspielt und verzaubert – «Petrificus totalus!» – zur Salzsäule erstarrt. Ab jetzt spricht Spiel-Gspänli Julian nicht mehr mit ihm, wirft ein Papierknäuel mit der Botschaft zu: «Du kannst nicht sprechen, hast du vergessen, der Fluch ist immer noch auf dir!». Nun wäre ein Entzauberungsspruch von Nutzen. Aber wie heisst er denn? Merseburger Zauberspruch? Weit gefehlt. Wir sind in der Jetztzeit. Unser Protagonist erinnert sich, findet ihn zuhause in einem Harry-Potter-Band, notiert ihn, rennt den vertrauten Schulweg in seinen «schwarz-roten, klobigen Schuhen mit der viel zu breiten Zunge, die gerade Mode ist», zum Domizil von Julian, wo er das Zettelchen mit der Lösung in dessen Briefkasten schiebt. Fertig.

Metaphernreiche Metaphorik und Gleichungsgleiches
Zwischen diesen beiden Erzählbenen sind reichlich metaphernreich eingeschobene Reflexionen zu finden über ästhetische Begrifflichkeiten wie: «Die Schönheit ist eine feinst verästelte Einsamkeit, die wie eine riesenhafte, uralte Buche in mein Aderwerk hineinwuchert». Was Schönheit ist, und zu welchem Ende man es mit ihr betreiben kann, wurde schon öfters behandelt. In Kim de l'Horizons Text finden sich aber auch geradezu linear-arithmetisch formulierte Gleichungen über Genderidentitäten: «Eine Frau minus ihr Frausein ist hässlich.» – «Ein Mann minus sein Mannsein ist nichts.» Um dann zu konstatieren: «Und selbstverständlich ist ein Mann ohne sein Mannsein auch ausgesprochen hässlich. Aber die Frau hat noch das Fühlendürfen, das hat der Mann halt nicht.» Ein andermal geht die Gleichung auch einfacher: «Hässlichsein minus Fühlendürfen gleich Nichtssein.»

Auffällig ist der Kontrast zwischen der Linearität einer nachgerade gleichungsgleichen Erzählweise zu Beginn und der Rastlosigkeit, die sich danach im Tempo des gehetzten Erzählens in einem einzigen Satz zur Atemlosigkeit steigert.

Bliebe noch, nun ja… die Autorenfigur, die eigentlich mit Geburtsname Dominik Holzer heisst. Was etwas gar hölzern klingt in einer Zauberwelt mit Feenstaub. Diminik Holzer, ein Name, der sich – unter Wahrung sämtlicher Buchstaben an anderen Positionen – um einiges aufhübschen liesse zu – richtig: Kim de l'Horizon. Als rettende Lösung also ein Anagramm.
Übrigens: ein Anagramm von «Anagramm» wäre – Finite Incantatem! – «mama rang».

Finite Incantatem oder Schmetterling zerhauen von Kim de l'Horizon In: «Literarischer Monat» Ausgabe 23 – Dezember 2015

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