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Aus der Isolation herauskommen: Gespräch mit René Regenass zur Uraufführung im Stadttheater Solothurn

Verfasst von Urs Scheidegger |

Morgen Samstag bringt das Städtebundtheater Biel/Solothurn das Stück «Schöne Zeiten» von René Regenass zur Uraufführung. Von René Regenass waren im Kontrastprogramm des Städtebundtheaters 1973 bereits der Einakter «Die Sitzung» und 1981 sowie 1982 zwei Spiegelstücke im Rahmen der «CH-Dramaturgie» zu sehen. «Schöne Zeiten» ist nach «Der Anschneider» (1976) das zweite abendfüllende Stück des 48jährigen Basler Autors.

«Schöne Zeiten», ein abendfüllendes Stück aus Ihrer Feder, erwarten die Besucher des Stadttheaters Solothurn am Samstag in einer Uraufführung. Können Sie kurz sagen, worum es in dem Stück geht?

René Regenass: Ja, es ist ein Vier-Personen-Stück. Es kommt zwar noch eine fünfte Person vor, aber nur am Rande und am Schluss. Es ist die Figur eines Boten im klassischen Sinn. Er überbringt am Schluss noch eine Nachricht. Es ist keine gute, es ist eine unheilvolle Nachricht. Aber um zu den Hauptfiguren zurückzukommen: Die vier Personen sind die vier Hauptrollen des Stücks zugleich. Es stehen sich gegenüber ein Schachgrossmeister, ein Mathematiker, der auf Informatik spezialisiert ist, ein Oberst und ein Coiffeur, in dessen Salon sie sich treffen. Es ist eine Figurenkonstellation, die schon gewisse Kontroversen in sich birgt. Im Grunde genommen geht es um die Angst. Jeder lebt in gewissen Zwängen, und die Argumentation jedes einzelnen wird gestört, indem von aussen ein Bedrohung kommt. Diese wird jedoch nie fassbar oder sichtbar im Stück. Es handelt sich um eine Demonstration, die vorbeizieht. Zu hören sind lediglich die Grundgeräusche. Und dann reagiert jeder einzelne nach seinem Verhaltensmodell. Für den Oberst bedeutet Leben Kampf - und prompt stellt er logistische Überlegungen an; der Schachgrossmeister entwickelt daraus seine eigene Philosophie; der Mathematiker empfindet es als etwas Archaisches, das er nicht in seiner Ratio fassen kann. Im Grunde steht nur der Coiffeur, den am Anfang alle belächeln, über allem aufgrund seines «einfachen» Weltbildes. Er ist auch der einzige, der im Grunde genommen nicht egoistisch ist, sondern noch ein Du hat, einen Partner- seine Tochter. Ihm bleibt – um es gestochen auszudrücken - als einzigem die Freiheit, altruistisch zu denken. Aber gerade bei ihm kommt nun das, was wir gemeinhin Schicksal nennen und zerschlägt ihm dann sein Prinzip Hoffnung am Ende des Stücks.

Ihrer Beschreibung nach scheint es sich um ein argumentatives Stück zu handeln.

Ja, es ist ein argumentatives Stück, ein diskursiver Dialog. Es ist nicht auf Aktion aufgebaut. Im übrigen ist es auch reizvoll und ein grundlegender Unterschied, ob man an der Schreibmaschine einen Prosatext schreibt oder einen Text, der noch umgesetzt werden muss, sei es in ein Hörspiel oder in ein Theaterstück. Das Handwerkliche spielt doch bei einem Theater auch eine grosse Rolle.

In ihrem Stück kommen nur Männer vor. Haben Sie es auf Provokation von feministischer Seite hin angelegt?

Dass es ein Männerstück ist, damit will ich andeuten, dass wir trotz aller Aufgeklärtheit im sexuellen Rollenspiel noch immer in einer Männerwelt leben. Deshalb auch die Wahl spezifisch männlicher Berufssparten im Stück.

Wie man hört, haben Sie neben der gegenwärtigen Theaterarbeit auch ein neues Buch in Vorbereitung.

Ja, ich bin jetzt an einem neuen Buch mit dem Arbeitstitel «Stadtbesichtigung». Im Moment habe ich es abgeschlossen, und es liegt beim Lektorat. Es handelt sich um einen satirischen Roman über die Stadt Basel. Basel ist doch eine sehr eigenartige Stadt, und ich darf das sagen, weil ich Basler bin. Diese Stadt hat aufgrund ihrer Lage und Geschichte Eigenarten entwickelt, in der viel Selbstüberschätzung mitspielt.

Sie haben Theaterstücke geschrieben, Prosa und auch Lyrik. Haben Sie Präferenzen innerhalb dieser literarischen Gattungen?

Wenig Lyrik. Fast keine Lyrik. Ich glaube, das ist ein Gebiet, das mir wahrscheinlich nicht so liegt. Ich habe wenigstens den Eindruck. Aber ich empfinde es als sehr angenehm, wenn man die Form oder Gattung auch einmal wechseln kann, sonst gibt es eine gewisse Einseitigkeit. Das Drama eröffnet einem auch andere sprachliche Dimensionen, indem es reine Dialoge gibt und das Deskriptive aus der Bühne wegfällt. Das Dialoghafte kann schon reizvoll sein. Anderseits gibt es mir auch - und das ganz persönlich - Gelegenheit, aus der Isolation herauszukommen. Denn, wenn man «nur» Schriftsteller ist, sitzt man einfach daheim in seiner Kemenate und ist isoliert. Beim Theaterschreiben ist das mit eine Gelegenheit, hinauszukommen und im Intendanten, Regisseur und in den Schauspielern Partner zu finden.
(Interview: Urs W. Scheidegger)

 

Publikation in Solothurner Zeitung/Grenchner Tagblatt/Langenthaler Tagblatt/Berner Rundschau

 

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