Thematische Relevanz und gesellschaftliche Resonanz würden als Kriterien für Literatur dazugehören, wird im Kommentar gefordert. Und Literatur dürfe nicht im Elfenbeinturm stattfinden, als hätten die Solothurner Literaturtage schon immer ihr Dasein in Selbstisolation fernab tagespolitischer und mithin gesellschaftlicher Probleme gefristet. Oft war das Gegenteil der Fall. Trendige Eintagsfliegen wie «Hyperfiction» sorgen noch heute für Kopfschütteln bei Leuten, die nahezu lückenlos über die vergangenen 40 Jahre das literarische Geschehen in Solothurn und der Welt mitbekommen haben. So auch, dass sich in Solothurn die «Poesie» von Beginn weg auf den Weg zum «Poedu» machte. Selbst an Stallgeruch mangelte es nicht, als Mitte der achziger Jahre Literaturinteressierte im Sog der modernen Heimatdichtung vor Butter- und Bücherbergen standen. Eine Dekade später dann waren es Computerpoesie oder Sprachen des Körpers (Podiumsgspräch über Politik, Literatur, Sexualität), die von ausserhalb des Elfenbeinturms in Erinnerung bleiben. Und immer wieder die Dauerbrenner mit dem Kupplungsstrich (Mundart-, Unterhaltungs-, Genre-National-, Welt-, Theater-, Frauen-, Jugend-, Kinder-Literatur ...)
Dass es Joël Dicker bis heute nicht an die Solothurner Literaturtage geschafft hat – vielleicht hilft ein Blick über den (Buchstaben-)Tellerrand hinaus: Der Westschweizer mit der Drehbuch-Schreibe amerikanischer Provenienz ist begeistert, wie der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert», Dickers Mega-Bestseller, als Serie filmisch in Szene setzte. Annaud hat sich mit der Kamera auch an andere literarische Werke herangemacht – zum Missfallen des ein oder anderen Autors, dem von «Der Name der Rose» beispielsweise (mittlerweile bei Netflix & Co auch seriell verfügbar). Umberto Eco übrigens war nie an den Solothurner Literaturtagen, so wenig wie Thomas Bernhard oder Friedrich Dürrenmatt. Durchaus möglich, dass klandestine Gründe für Festival-Absenzen aufschlussreicher sind als der Drang nach Dabeisein um jeden Preis. Das aber sind andere (mitunter relevantere) Geschichten, die sich um wirtschaftliche Relevanz foutieren.
Was die Relevanz betrifft, machen die Ansprüche an Literatur seit eh und je den Unterschied.
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Wer hat noch nicht, wer will noch mal: Solothurner Literaturtage und die Tagespresse
Verfasst von Urs Scheidegger
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«Mehr Relevanz in der Literatur» und «Welche Autoren sind relevant?» war in der Tagespresse («Schweiz am Sonntag», Ausgabe vom 25. Mai 2019) zu lesen. Wie stand es vormals und steht es heute um Relevanz und Literatur? Eine Spurensuche.
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