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Wissen und Glauben: Der Mensch glaubt viel mehr, als dass er weiss

Verfasst von Urs Scheidegger | |   Sprachriff

Glauben und Wissen – die uralten Gefährten der Menschheit. Es ist ein Leichtes nachzuweisen, dass der Mensch sehr viel mehr glaubt, als dass er weiss. Eines der kuriosesten und aufschlussreichsten Konstrukte im Dunstkreis Glauben-Wissen wird Leonard Euler zugeschrieben.

Das fängt ja schon früh an, hat sich milliardenfach repetiert und wird fürderhin wiederkehren: Jeder Mensch ist bei seiner Geburt zwar leibhaftig dabei – kann sich aber beim besten Willen nicht daran erinnern. Da sind seit Menschengedenken sämtliche Biografien auf Treu und Glauben von Sekundärquellen abhängig, so es sie denn überhaupt je gab, gibt oder geben wird. Und darüber hinaus auch noch verlässlich sind.
Um das Wissen ist es aber noch schlimmer bestellt, denkt man an das Phänomen, das als Rashomon-Effekt in Psychologen- und Philosophenkreisen die Runde macht. Dort wird Akira Kurosawas Film aus dem Jahr 1950 vor allem in Bezug auf die Existenz einer «objektiven Wahrheit» diskutiert. Vergleiche hierzu Der Mensch glaubt mehr, als er weiss Gemeindeblatt Nr. 11 • November 2014 S. 3

Eulers «Gottesbeweis»
Der berühmte Mathematiker Leonard Euler soll eines Tages auf die Idee gekommen sein, die Philosophen am Hof der Zarin Katharina in St. Petersburg mit einem wunderlichen Argument für die Existenz Gottes zu düpieren. Euler: «Sir, also existiert Gott, bitte antworten!». Seine Gegner sollen dermassen verdutzt gewesen sein, dass niemand  bereit war, seine Unkenntnis der Formel einzugestehen oder auch nur deren Relevanz für die Frage nach Gott zu stellen. Um mit Giordano Bruno zu sagen: «Se non è vero, è ben trovato». Denn es gibt offenbar keinerlei Belege dafür, dass die Begegnung am St. Petersburger Hof jemals stattgefunden hat. Dank Internet und anderen obskuren Gründen ist die Episode populärer denn je. Offenbar wurde die Mär erstmals von Dieudonné Thiébault in seinem Buch «Mes souvenirs de vingt ans de séjour à Berlin» im Jahr 1801 verbreitet. Eine diesbezügliche Diskussion gibts von Dirk J. Struik aus seinem Buch «A Concise History of Mathematics», Third Revised Edition, Dover, 1967, p. 129:

The So-Called Euler-Diderot Incident, R. J. Gillings, American Mathematical Monthly, 77-80 (1954)

(a+b^n)/n = x. Therefore, God Exists

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