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Kafkas «Bau»-Verfilmung: allegorische Endzeitstory mit «Cocooning»-Visionen

Verfasst von Urs Scheidegger | |   Sprachriff

Jochen Alexander Freydank wagt sich an eine bislang als unverfilmbar geltende Tiergeschichte von Kafka heran – «Der Bau» dient ihm als Vorlage für eine allegorische Endzeitstory. Wobei nicht ganz klar wird, ob er damit einen psychopathogenen Einzelfall diagnostizieren oder gleich eine zivisilatorische Fehlentwicklung  einlochen möchte.

Der Ich-Erzähler im «Bau», an dem Kafka bis zu seinem Tod 1924 schrieb, wird in der Sekundärliteratur gewöhnlich als überdimensioniertes Wesen beschrieben mit Eigenschaften, die auf ein Tier hindeuten. Einerseits verfügt der Körper des Erzähler-Ich über ein «Fell, «Krallen», «Scharrpfoten» usf. Mitunter erinnern Beschreibungen von Dachsens und Maulwurfs Verhaltensweisen an Brehms Tierleben, worauf als erster Hartmut Binder hingewisen hat. Andererseits kommen Eigenschaften vor, die nur auf Menschen zutreffen. So beklagt das Erzähler-Tier einmal einen «von meinen Händen geschaffenen […] Mangel», wo doch die Hand nichts Tierisches, sondern eindeutig etwas genuin Menschliches ist. Auch hat Kafkas  Protagonist «Barthaare» und nicht «Tasthaare», wie dies fachsprachlich korrekt bei Dachs, Maulwurf & Co heissen müsste.

Kafkas hybride Tiergeschichte und Freydanks visualisierte Menschwerdung
Allein aufgrund der literarischen Tier-Mensch-Ambiguität des Protagonisten im «Bau» ist die Verfilmung eine grosse Herausforderung. Wie das Erzähler-Ich darstellen, das in Kafkas unvollendeter Erzählung ein schwer fassbares Hybridwesen ist? Der Film, mit dem sich Oscargewinner Freydank seit einer Dekade beschäftigt, riskiert einiges und mutet dem Zuschauer auch einiges zu.

«Ich habe den Bau eingerichtet, und er scheint wohlgelungen.» Mit diesen Worten beginnt die titellose  Erzählung aus Franz Kafkas Nachlass, deren Titelgebung («Der Bau») von Max Brod stammt. Und der Film?

Der beginnt mit einem Vorspann aus der Vogel-Perspektive, unten leuchten Taschenlampen im Dunkeln, die Lichter schweifen durch einen unterirdischen Raum, in dem allerhand Unrat liegt. Dann irgendwann ein Mann, der sich vor der Videokamera aufbaut und sagt: «Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen.»
Im Film tritt Kafkas literarisches Hybridwesen als Mann namens Franz in Erscheinung – ganz gewiss nicht zufällig namensgleich mit dem Autor der literarischen Vorlage. Dieser Franz nun, verkörpert duch Axel Prahl, Anzugträger mit Aktentasche, Mittelstandsbürger westlicher Prägung, zieht im Alter von knapp 50 Jahren mit seiner Familie in die grosszügige Wohnung in einer total videoüberwachten Immobilie ein. Dieser «Bau», von aussen in knalligem Rot, wirkt wie ein überdimensionaler Container, während seinen Innenraum kaltes Grau und Stahlblau beherrschen. Dass hier etwas nicht stimmt, deutet sich spätestens dann an, als Obdachlose in dunstigen Räumen kniehoch durchs Wasser waten. Es gibt keine Handlungsabfolge von Geschehnissen, die kausal-plausibel aufeinander aufbauen und sich zu einer Geschichte verdichten würden. Zufallsbegegnungen wie aus dem nichts mit einem Hausmeister (Josef Hader), einem Wachmann (Robert Stadlober), einem Schlosser (Devid Striesow), dem bösen Nachbarn (Roeland Wiesnekker) und mit seiner Frau (Kristina Klebe) dienen allenfalls dazu, Franzens anschwellende Paranoia zu visualisieren.

Franz fühlt sich denn auch zusehends unsicher und versucht, seinen «Bau» möglichst perfekt abzusichern. Irgendwann hat die Familie die Nase voll von seinem Security-Gedöns, zieht Leine, und Franzens Talfahrt in die Verwahrlosung kann ihren Lauf nehmen. Je mehr Franz' Paranoia zunimmt, desto stärker versucht Freydank mit nervösem Elektrosound, schrägen Kameraperspektiven nach Art des expressionistischen Stummfilmkinos und viel nebelverhangener Düsternis eine geheimnisumwitterte Atmosphäre zu generieren.

In Form eines inneren Monologs kreisen die Gedanken des Protagonisten in immer enger werdenden Schlaufen um sein Lebenswerk: die Errichtung jenes labyrinthischen Baus, der kaum mehr verlassen wird.
Axel Prahl, ganz allein im Bau, hat nur ein einziges Gegenüber, dem er sich mitteilt, seinen Camcorder. Eine Art Video-Tagebuch zum Aufsagen von Kafka-Texten, in das er auch den berühmten ersten Satz der Erzählung mehr nuschelt als spricht. Vielleicht wäre es cleverer gewesen, mehr auf Off-Texte zu setzen, statt den Schauspieler die Texte in volksbühnenartiger Weise rezitieren zu lassen.
Wie auch immer, die Stille bleibt trügerisch, das «Tier» lauert weiter und treibt das erzählende Ego fürderhin in die Enge. Es war übrigens Kafkas Freund und Herausgeber Max Brod, der mal angedeutet hat, dass Kafka seine Husten- und Schwächeanfälle als das «Tier» bezeichnete, als elementaren Angriff auf seine Existenz.

Mangelnden Mut kann man Filmmacher Jochen Alexander Freydank bei seiner ambitionierten Literaturverfilmung wahrlich nicht unterstellen. In Kafkas Erzählung «Der Bau» allerdings eine Metapher auf das heute verbreitete Phänomen «Cocooning» zu sehen, wie der Regisseur im Presseheft vorschlägt, greift irgendwie zu kurz – wie auch einige weitere Aspekte dieser Filmproduktion. Wenn beispielsweise der radikale Rückzug von Banker Franz aus einer überfordernden (Arbeits)welt als rasanter Absturz einer gesamten humanen Zivilisation interpretiert wird.

Und so wirkt am Ende alles wie eine kuriose Mischung aus einem Vereins-Theater, das sich an der Textvorlage verheddert, und Stereotypen aktueller apokalyptischer Genrefilme mit durchaus kritischem Anspruch vermengt, bei dem sich, unabhängig von Kafkas Vorlage, zuweilen ein aufblitzender Kunstwille ins Bild drängt. Wobei eben nicht ganz klar wird, ob der Film lediglich ein Individuum mit einem temporären Sprung in der Schüssel vorführen oder gleich ganze Zivilisationen epochal bachab schicken möchte. Womöglich beides in einem Aufwisch.

Szenenbild aus Kafkas «Bau»-Verfilmung von Jochen Alexander Freydank.
Szenenbild aus Kafkas «Bau»-Verfilmung von Jochen Alexander Freydank.
Szenenbild mit Axel Prahl aus Kafkas «Bau»-Verfilmung von Jochen Alexander Freydank.
Szenenbild mit Axel Prahl aus Kafkas «Bau»-Verfilmung von Jochen Alexander Freydank.
Szenenbild mit Axel Prahl aus Kafkas «Bau»-Verfilmung von Jochen Alexander Freydank.
Szenenbild mit Axel Prahl aus Kafkas «Bau»-Verfilmung von Jochen Alexander Freydank.
Szenenbild mit Axel Prahl aus Kafkas «Bau»-Verfilmung von Jochen Alexander Freydank.
Szenenbild mit Axel Prahl aus Kafkas «Bau»-Verfilmung von Jochen Alexander Freydank.
Szenenbild mit Axel Prahl aus Kafkas «Bau»-Verfilmung von Jochen Alexander Freydank.

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