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Peter Bichsel sorgte mit Untertönen für Misstöne: Versungen und vertan?

Verfasst von Urs Scheidegger | |   Sprachriff

Zu Beginn der 1980er Jahre äusserte sich Peter Bichsel mit subversivem Unterton für Misstöne. Er finde Solothurn weder schön noch besonders. Was war da los?

«Ich finde Solothurn weder schön, noch gut, noch besonders. Ich lebe in Solothurn seit 30 Jahren. Ich hatte immer meinen Ärger mit dieser Stadt.» Hat sich Peter Bichsel mit ähnlicher, im besonderen aber mit dieser Diktion in seiner engeren «Heimat» versungen und vertan? Er, der eben erst aus seinem «freiwilligen Exil auf Zeit» auf jenen Boden zurückgekehrt ist, dem er vermeintlich zu einem schönen Stück seinen Werdegang verdankt; er, der jeweils als Veränderter aus der Fremde zurückkehren möchte und dem die Stadt gegen seinen Willen jedesmal aufs Neue beweist: du bist derselbe. Ein lobensunwilliger Bichsel und die Solothurner: Resultiert daraus eine Gesellschaft, in der eine neue Form der Mensur vorexerziert wird, alle gegen einen, einer gegen alle, und Verrisse Dissonanzen erzeugen, die einer mit klaren Aussagen heraufbeschwört? Versungen und vertan also? Ganz im Gegenteil. Wir haben allen Grund, der Ehrlichkeit des Peter Bichsel mit Respekt zu begegnen und die Umkehrung des schulterklopfenden Patriotismus in persönliche Distanz zumindest als gelungenes Aperçu zu etikettieren: als Recht eines Schriftstellers, der sehr viel raffinierter und hintersinniger schreibt, als es dem Leser auf Anhieb erscheinen mag - und auch vielen Kritikern, die bis heute nicht müde geworden sind, den Prosaisten Bichsel unter der Devise «volkstümlich-schlicht und grad drauflos» beiseitezulegen.
Statt vorschnell über Bichsels Lokalpatrioten-Defizit zu orakeln, sollte mancher Beckmesser lieber realisieren, dass hier einer dabei ist, ringend in Hassliebe zu Solothurn dem Ruf eines literarischen Winkelrieds Vorschub zu leisten. Künstlerisch-schöpferisch tätige Menschen wollen in der Regel Kosmopoliten sein, und die wenigsten werden sich spontan zu einem Fleckchen Erde bekennen, wenngleich auch sie zwangsläufig bis zu einem gewissen Grad irgendwo im Lokalen verwurzelt sind. Daraus aber beim gebürtigen Luzemer hierorts Besitzanspruch geltend zu machen und es ihm übel zu nehmen, wenn es bei ihm nicht so tönt, wie viele es sich zu tönen wünschen, ist abwegiges Verhalten.
Man soll Peter Bichsel als das nehmen, was er ist und sein will: als grundehrlichen Menschen und raffinierten Geschichtenerzähler, der das Beiläufige als Hauptsache und das Hauptsächliche als Formel verkauft, die allerdings vom Leser erkannt werden will.

Artikel vom 9. September 1982 in der Solothurner Zeitung

Peter Bichsel.
Peter Bichsel.

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